Titelfoto: Stephanie Rössel
„Hör mir mal, hör mir mal zu. Ick will dir mal wat erzählen von mir. Dit hab ich noch nie jemacht, außer bei dir“, singt Sido am Sonntagabend über die Küchwaldwiese in Chemnitz. Vor ihm 12.000 Menschen, die gebannt lauschen, bei den Geschichten von Carmen, dem Astronaut, dem Leben vor dem Tod oder Klassikern wie Bilder im Kopf und Mama hat gesagt. Spätestens jetzt klickt’s bei jedem.
25 Jahre Sido – und Chemnitz mittendrin
Seit einem Vierteljahrhundert steht Sido auf der Bühne. Seine Jubiläumstour nennt er selbst „die größte, die ich je gespielt habe“. Mit breitem Grinsen fragt er: „Wo kommt ihr denn alle her? Was wollt ihr denn alle hier“. Chemnitz ist Tour-Station Nummer 26 – Pflichttermin für langjährige Fans und für alle, die einfach mal den Mann erleben wollen, der seit Jahren fest zur deutschen Hip-Hop-Szene gehört.
Wer nur die Sido Songs aus dem Mainstream-Radio kennt, merkt schnell – es groovt tiefer. Die Beats wandern direkt ins Blut, Arme schwingen im Takt – ein kollektiver Sog, der die Menge mitreißt.
Vom Skandalrapper zur Rap-Ikone
Geboren 1980 in Ost-Berlin, startete der mit bürgerlichen Name Paul Würdig Ende der 90er im Rap-Underground. Mit Aggro Berlin, dem Album Maske (2004) und dem Hit Mein Block eroberte er die Republik – damals noch als maskierter „Skandalrapper“. Ab 2006 legte er die Maske schrittweise ab, öffnete sich für poppigere Sounds und veröffentlichte neben Battle-Rap auch emotionale Tracks wie Augen auf. Alben wie Ich und meine Maske (2008) und 30-11-80 (2013) zementierten seinen Status.
Nebenbei wurde er durch TV-Auftritte – unter anderem bei The Voice of Germany – zum Entertainer mit Mainstream-Strahlkraft. Spätere Werke zeigten eine reifere, persönlichere Seite: Familie, Selbstreflexion, Tiefgang. Heute genießt er Respekt im Hip-Hop-Underground und im Mainstream – eine seltene Kombination.
Fotos vom Konzert von Stephanie Rössel
Chemnitz feiert alle Facetten
Auf der Küchwaldwiese treffen an diesem Abend alle Welten aufeinander. Langjährige Fans, die vor allem die harten Aggro Berlin-Zeiten feiern, und Neu-Fans, die die poppigen Hits lieben. Auch außerhalb des abgesperrten Bereichs versammeln sich Menschen unter den Bäumen, um einen Blick zu erhaschen – die Musik dringt bis dorthin, auch wenn die Akustik nicht mit dem Frontstage-Bereich mithalten kann.
Seine Transformation setzt Sido auch live in Szene. „Ich bin die Vorband“, ruft er ins Mikro, als der Vorhang fällt. Im Sonnenlicht funkelt die silberne Maske, die Menge schreit die legendären Zeilen: „Meine Stadt, mein Bezirk, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block.“ Ein zweiter Vorhang offenbart den veränderten Look – Symbol für die musikalische Entwicklung, die seine Karriere geprägt hat.
Estikay – mehr als nur Support
Doch Sido kam natürlich nicht allein. Estikay (Yannick Dekeyser), 1991 in Hamburg geboren, bringt seit Jahren eigenen Vibe ins Spiel. 2016 von Sido bei dessen Label Goldzweig gesignt, landete er mit seinem Debüt Auf entspannt 2017 auf Platz 6 der Charts. Gemeinsame Tracks und viele gemeinsame Touren haben ihn zur einer Art Weggefährten gemacht. So lag es fast auf der Hand, dass er auch jetzt dabei ist.
Auch wenn es vielen Supports schwerfällt, das Publikum vor dem Hauptact in Bewegung zu bringen – Estikay ließ Chemnitz melodisch schwingen und bereitete den perfekten Boden für das, was danach kam.



Seit fast zwei Jahrzehnten die neutrale Stimme im Vogtland. Mit Leidenschaft und Nähe zu Menschen und Themen, auch weit über die Region hinaus. Nah am Puls der Zeit. Und stets mit dem Anspruch, Politik zu lesen, Kunst und Kultur näher zu bringen und am Schleizer Dreieck nicht vom Bike zu fallen.