Im Oberen Vogtland verändert sich die Krankenhauslandschaft tiefgreifend. In den vergangenen Monaten war zu spüren, dass im Gesundheitswesen kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Patientinnen und Patienten werden heute anders behandelt, Stationen sind geschlossen, Ärzte wechseln Standorte.
Das passierte auch in Adorf und Schöneck gerade. Doch was genau ist passiert, warum ist es dazu gekommen, und was bedeutet das für die Menschen in der Region? Bis vor Kurzem betrieben die Paracelsus-Kliniken in Adorf und Schöneck zwei Häuser, die im Grunde das Gleiche taten: sie behandelten stationär, sie führten Operationen durch, sie hielten Notaufnahmen vor.
Das klang nach Sicherheit, war aber teuer und schwer zu stemmen. Zwei Teams, zwei Nachtdienste, doppelte Technik, doppelte Verwaltung. Die Belegung in Adorf war schon seit Jahren rückläufig. Oft standen Betten leer, ganze Stationen waren nur teilweise belegt. Schöneck hingegen hatte höhere Fallzahlen, dort war die Auslastung besser.
Schon Ende 2022 wurde klar, dass das so nicht weitergeht. Damals musste die Notaufnahme in Adorf vorübergehend schließen, weil das Personal knapp wurde. Im Sommer 2023 wurde daraus eine endgültige Schließung. Rettungswagen fahren seither direkt nach Schöneck oder in umliegende Häuser.
Was sich 2025 ändert
Paracelsus kündigte an, den stationären Betrieb in Adorf zu beenden und alle Betten, Ärzte und Pflegekräfte nach Schöneck zu verlagern. In Adorf entsteht seitdem ein sogenanntes ambulantes Zentrum – eine Art Tagesklinik, in der kleinere Eingriffe, Diagnostik, Schmerzbehandlungen und Nachsorgen stattfinden. Schöneck dagegen ist nun das einzige Haus im Vogtlandkreis, das unter dem Namen Paracelsus stationär arbeitet.
Diese Aufteilung nennen die Betreiber ein „Hybridmodell“. Das bedeutet, dass sie die Versorgung der Region auf zwei Ebenen organisieren wollen: ambulant in Adorf, stationär in Schöneck. Auf dem Papier ist das eine Reaktion auf den bundesweiten Umbau der Krankenhauslandschaft. Der Bund drängt seit Jahren darauf, kleine Kliniken mit niedriger Auslastung in größere Einheiten zu integrieren. Es geht um Qualität, aber auch ums Geld.

Wie Krankenhäuser in Deutschland überhaupt finanziert werden
Ein Krankenhaus lebt im Wesentlichen von zwei Geldströmen. Der eine kommt von den Krankenkassen und fließt für die Behandlung von Patienten. Jede Operation, jede Geburt, jede Behandlung hat eine festgelegte Pauschale, die sogenannte Fallpauschale. Je mehr Fälle eine Klinik hat, desto mehr Einnahmen erzielt sie.
Der zweite Geldstrom kommt vom Staat, also vom jeweiligen Bundesland. Aus diesem Topf sollen eigentlich Neubauten, Renovierungen oder medizinische Großgeräte bezahlt werden. In Sachsen läuft das über die Krankenhausförderung des Sozialministeriums. In der Praxis aber reicht dieses Geld selten. Viele Investitionen zahlen die Kliniken längst aus dem laufenden Betrieb, also aus den Fallpauschalen. Das führt zu Defiziten, die sich gerade bei kleinen Häusern schnell summieren.
Fördergelder und Corona-Hilfen
In den Jahren der Pandemie bekamen auch Adorf und Schöneck zusätzliche Unterstützung. Der Bund zahlte sogenannte Freihaltepauschalen, also Geld für Betten, die wegen Corona leer bleiben mussten. Wie viel genau an die einzelnen Standorte floss, wird allerdings nicht veröffentlicht. Sicher ist nur, dass Paracelsus – wie alle Plankrankenhäuser – diese Mittel erhalten hat.
Später kamen weitere Programme dazu, etwa der Krankenhauszukunftsfonds. Aus diesem Fonds fließen Milliarden in digitale Projekte: elektronische Patientenakten, moderne IT-Sicherheit, besser vernetzte Abläufe. Auch Paracelsus beteiligt sich daran, die Kliniken in Adorf und Schöneck gehören zum Programm. Diese Mittel sind aber zweckgebunden. Sie dürfen nicht für Gehälter oder Defizitausgleich verwendet werden, sondern ausschließlich für Technik und Digitalisierung.

Warum der Konzern umbaut
Die Paracelsus-Kliniken gehören zur Porterhouse Group, einem privaten Gesundheitskonzern mit Sitz in Luzern. Paracelsus selbst sitzt in Oberhausen und betreibt bundesweit rund ein Dutzend Akutkrankenhäuser und mehrere Fach- und Reha-Einrichtungen. Im Sommer 2025 verkaufte der Konzern neun Rehakliniken an die österreichische VAMED-Gruppe. Damit trennte man sich von einem ganzen Geschäftszweig, um sich stärker auf Akutmedizin zu konzentrieren.
Die letzte veröffentlichte Zahl zum Umsatz lag bei rund 400 Millionen Euro. Die vollständigen Finanzberichte der Jahre 2023 und 2024 liegen im Bundesanzeiger. Aus dem, was bisher bekannt ist, ergibt sich das Bild eines Konzerns, der seine Struktur verschlankt und versucht, profitabler zu werden. Neue Kliniken hat Paracelsus im vergangenen Jahr nicht eröffnet, dafür aber das Portfolio bereinigt und an mehreren Standorten die Organisation verändert.

Personalsituation und Tariflage
Für die Beschäftigten in Adorf und Schöneck bedeutete die Umstellung 2025 keine Massenentlassung, wohl aber Bewegung. Pflegekräfte und Ärztinnen wechselten von Adorf nach Schöneck. Offiziell spricht der Betreiber nicht von Stellenabbau, sondern von Umverteilung. In Schöneck wurde die Zahl der Teams erhöht, um die zusätzlichen Betten abzusichern. Parallel liefen Tarifverhandlungen mit dem Marburger Bund, also der Ärztegewerkschaft. Anfang Oktober 2025 kam eine Einigung zustande, die allerdings noch unter Gremienvorbehalt steht. Das zeigt, dass es Unruhe gab, aber keinen offenen Konflikt.
Wie sicher ist die Finanzierung jetzt
Kurzfristig ist die Finanzierung der beiden Häuser stabil. Der Betrieb läuft, die Gehälter werden gezahlt, die Auslastung in Schöneck ist hoch. Mittelfristig aber bleibt das Modell empfindlich. Weil Adorf keine Notaufnahme und keinen stationären Bereich mehr hat, entfällt ein Teil der festen Erlöse. Das neue ambulante Zentrum muss erst zeigen, ob es genug Patienten anzieht. Zugleich steigen die Personalkosten und die Anforderungen an die Pflege.
Wenn die Auslastung in Schöneck sinkt oder Fachkräfte fehlen, kann die Kalkulation schnell kippen. Zusätzliche Zuschüsse vom Staat gibt es derzeit nicht. Adorf und Schöneck stehen nicht auf der Liste der Häuser, die für ihre Lage im ländlichen Raum besondere Sicherstellungszuschläge bekommen. Fördergelder aus dem Digitalfonds helfen bei der Modernisierung, lösen aber keine finanziellen Engpässe.
Was das für Patienten bedeutet
Für die Menschen im Vogtland ändert sich vor allem der Weg, den sie im Notfall gehen müssen. Für planbare Operationen und Behandlungen dagegen bleibt Adorf weiterhin Anlaufstelle. Dort sollen Tagesoperationen, Endoskopien und Schmerztherapien stattfinden, also Eingriffe, bei denen die Patienten am selben Tag wieder nach Hause gehen können. Das spart Geld und Personal, funktioniert aber nur, wenn die Abläufe reibungslos sind und die Infrastruktur stimmt.

Die Rolle der Politik
Die Entscheidung für das Hybridmodell ist keine reine Unternehmensidee, sondern folgt der Linie der Krankenhausreform des Bundes. Diese sieht vor, dass nicht jede kleine Klinik alle Leistungen vorhält. Stattdessen sollen Standorte sich spezialisieren, um Qualität und Wirtschaftlichkeit zu sichern. In Sachsen sind diese Vorgaben bereits im Landeskrankenhausplan verankert. Dort ist genau festgelegt, welche Häuser welche Aufgaben erfüllen. Adorf ist im neuen Plan nicht mehr als vollstationäres Haus vorgesehen. Schöneck bleibt als Regelversorger im Plan. Der politische Rahmen gibt also den Takt vor, der Betreiber füllt ihn aus.
Was in Adorf und Schöneck im Kleinen passiert, spiegelt ein großes nationales Problem. Die beiden Kliniken sind Teil eines Systems, das seit Jahren an seiner eigenen Konstruktion krankt. Das Vogtland ist kein Einzelfall, sondern ein Mikrokosmos der bundesweiten Krankenhauskrise.

Die Milliarden, die kamen – und die, die fehlen
Geld ist in den vergangenen Jahren durchaus geflossen: Pandemie-Hilfen, Freihaltepauschalen, Digitalfonds, Transformationsfonds. Doch das System fördert Projekte, keine Stabilität. Förderungen kommen für Technik, IT, Umbauten – nicht für Personal oder Betrieb. In Adorf und Schöneck zeigt sich das deutlich: neue Geräte, aber kein Geld für das zusätzliche Pflegepersonal, das sie bedienen müsste. Der Bund finanziert Zukunft, aber nicht Gegenwart.

Die Reform und ihre Leistungsgruppen
Im Jahr 2023 hat die Bundesregierung unter Gesundheitsminister Karl Lauterbach die bislang umfassendste Krankenhausreform auf den Weg gebracht. Sie sollte das System transparenter, effizienter und gerechter machen. Sie führte Leistungsgruppen ein – definierte Standards, die eine Klinik erfüllen muss, um bestimmte Behandlungen anbieten zu dürfen. Für große Häuser war das kein Problem. Für kleine wie Adorf bedeutete es den schleichenden Tod: fehlendes Personal, fehlende Geräte, fehlende Nachweise. So werden Kliniken gezwungen, sich entweder zu spezialisieren oder zu schließen.
Wer keine Herzkatheter, keine Onkologie oder keine 24-Stunden-Bereitschaft nachweisen kann, verliert ganze Leistungsgruppen – und damit die Finanzierung. In der Folge konzentriert sich die Versorgung auf größere Standorte. Für Regionen wie das Vogtland bedeutet das längere Wege, weniger Personal vor Ort und den Verlust vertrauter Strukturen.
Was die Krankenhausreform nicht gelöst hat
Lauterbachs Reform war kein mutiger Neustart, sondern ein hilfloser Versuch, ein marodes System zu ordnen, ohne seine Ursachen anzutasten. Sie entstand nicht aus politischer Entschlossenheit, sondern aus Druck: zu viele Kliniken kurz vor der Insolvenz, zu viele Länder ohne Investitionspläne, zu viele warnende Berichte über die Finanzierungslücken. Der Minister reagierte, statt zu gestalten. Heraus kam eine Reform, die mit großem Anspruch startete – Qualität vor Quantität, Planbarkeit statt Preisdruck – und mit technokratischen Vorgaben endete, die den Alltag kaum verändern.
Die Reform hat Regeln geschaffen, aber keine Rettung. Sie verschiebt Verantwortung in Tabellen, ohne sie politisch zu tragen. Genau das zeigt sich jetzt im Vogtland: Adorf und Schöneck müssen ihre Strukturen an diese abstrakten Regeln anpassen, ohne dafür die Mittel zu bekommen. Der Reformansatz war kein Betrug, aber er war auch kein Befreiungsschlag – er war klassische Beruhigungspolitik, die Probleme ordnet, statt sie zu lösen, und deren Last nun konkret vor Ort spürbar wird.

Kliniken stehen noch immer mit denselben finanziellen Problemen da, aber nun mit zusätzlichen bürokratischen Lasten. Sie müssen Leistungsgruppen erfüllen, ohne die Mittel zu haben, sie umzusetzen. Die Politik hat ein System geschaffen, das Qualität messen will, aber Versorgung verliert. Geld fließt, aber an den falschen Stellen, Transparenz wird gefordert, aber nicht gelebt.
Primärquellen (mit Direktlinks):
- Bundesanzeiger Verlag – Jahresabschlüsse und Lageberichte der Paracelsus-Kliniken Deutschland GmbH & Co. KGaA (2018–2023):
🔗 https://www.bundesanzeiger.de/pub/de/suchergebnis?16 - Handelsregister / Unternehmensregister Deutschland – Registerauszüge zur Paracelsus-Kliniken Deutschland GmbH & Co. KGaA, Komplementär-GmbH und Holdingstruktur:
🔗 https://www.unternehmensregister.de - North Data GmbH – Unternehmensprofil, Beteiligungsstruktur und Finanzdatenanalyse zu Paracelsus-Kliniken Deutschland GmbH & Co. KGaA, Stand 2025:
🔗 https://www.northdata.de/Paracelsus-Kliniken+Deutschland+GmbH+%26+Co.+KGaA,+Osnabr%C3%BCck - Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS) – Landeskrankenhausplan Sachsen 2023/2024; Förderlisten Krankenhausinvestitionen (KHGG Sachsen):
🔗 https://www.sms.sachsen.de/krankenhauswesen-krankenhausplanung.html - BAS – Bundesamt für Soziale Sicherung – Projektlisten Krankenhausstrukturfonds I–III, Bewilligungen für Sachsen (2018–2024):
🔗 https://www.bundesamtsozialesicherung.de/de/krankenhausstrukturfonds/ - Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) – Krankenhausbarometer 2024 (Umfrage unter 850 Häusern):
🔗 https://www.dkgev.de/dkg/publikationen/krankenhausbarometer/ - RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen – Krankenhausprognose 2024; Finanzlage deutscher Kliniken 2023–2024:
🔗 https://www.rwi-essen.de/publikationen/rwi-materialien/ - Marburger Bund Sachsen – Tarifinformationen und Stellungnahmen zu Ärztetarifen Paracelsus-Kliniken, Oktober 2025:
🔗 https://www.marburger-bund.de/mb-sachsen - Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KV Sachsen) – Informationen zur ambulanten Versorgung und Arztsitzverlagerung Adorf/Schöneck, 2024–2025:
🔗 https://www.kvsachsen.de
Stand der Verifizierung: Oktober 2025
Nach 20 Jahren Krieg, Krise und dem großen Ganzen journalistisch in das beschauliche Vogtland gewechselt. Ein Momentesammler und Geschichtenerzähler. Neugierig, nahe an den Menschen und manchmal ein bisschen frech. :) Autorenprofil/Vita