Metalcore als Soundtrack für die Welt am Abgrund – alle Details in der Albumrezension!
Titelfoto: Candy Welz
Die dunklen Wipfel der Bäume im Thüringer Wald wiegen. Sonnenstrahlen brechen kurz hindurch. Die Vögel zwitschern. Und dann zieht sie auf, eine dunkle Wolke. Eigentlich ein Schatten eines Hubschraubers, der so tief fliegt, dass ein Hirsch panisch durch den Wald rennt.
Diese Szene – ebenso malerisch wie bedrohlich – ist eine Interpretation, die sich beim Hören von Ad Arma entfaltet, dem Intro des neuen Heaven Shall Burn Albums Heimat. Was mit einem Naturbild beginnt, entwickelt sich binnen Sekunden zu einem musikalischen Schlachtfeld – wie ein Vorbote dessen, was die kommenden Tracks bringen werden.
Heaven Shall Burn entfesseln sich ab dem ersten Takt
Die vorab veröffentlichten Singles der Band aus Saalfeld schienen etwas schwächer als gewohnt – mit Ausnahme von Confounder. Doch das das Gesamtwerk zündet unmittelbar, sobald es sich in Bewegung setzt. Der Übergang von Ad Arma zu War Is the Father of All ist ein Kunstgriff. Rhythmisch treibend und durchzogen von dezenten orchestralen Elementen, entfalten die Gitarren eine hypnotische Kraft, die in den Bann zieht.
Obwohl Marcus Bischoff sich nicht um Verständlichkeit im klassischen Sinne bemüht – sein Gesang ist Growl, Brüllen, kraftvolles Röhren – lässt sich die Message nicht überhören. My Revocation of Compliance und Confounder sind bissige Kommentare gegen gesellschaftliche Gleichgültigkeit. Hier wird nicht geflüstert – hier wird geschrien. Und doch hat seine Stimme mehr Melodie, mehr Tiefe als die vieler anderer Sängern im Genre. Der HSB-typische Sound funktioniert hier wie ein Rammbock für politische Botschaften – kompromisslos, aber nie plakativ.
Riffgewalt und Gefühl – Heimat bietet mehr als nur Härte
Für Fans aus der Gitarrenfraktion bietet A Whisper from Above feinste Arbeit mit melodischem Einschlag, während Imminence für einen Moment den Lärm zurückfährt und an die Anfangssituation erinnert – ein kurzer Atemzug, bevor die zweite Hälfte des Albums an Tempo und Wucht gewinnt. Mit Those Left Behind und dem kompromisslosen Ten Days in May schlägt es in seine brutalere Phase um. Und dann krachen die Drums bei Numbered Days, dem Cover von Killswitch Engage’s, bei dem Jesse Leach als Gastsänger am Mikrofon steht.
Zwischen Abschied und Abgrund – das Finale von Heimat
Nach dem intensiven Dora folgt mit A Silent Guard beinahe ein Moment des Innehaltens, bevor Inter Arma abschließt. Als wäre nun alles plattgewalzt, niedergebombt und zerstört. Alle haben den Wald verlassen, sind weg aus der Heimat – der Schrei des Kauz besiegelt das. Was bleibt, ist eine seelisch erschöpfte Hörerschaft – das Werk ist vollbracht, die „Wall of Death“ getanzt.

Mehr als ein Album – die Deluxe-Version von Heimat
Wer über die Standardversion hinausgeht und in Deluxe investiert, wird auf Disc 2 mit Bonustracks belohnt, die musikalisch wie politisch Gewicht haben. Da wäre Keinen Schritt zurück – eine eingängige Kooperation mit den Donots, die zum Mitschreien animiert.
Der 90er-Jahre-Punkklassiker Schweineherbst von Slime wird gemeinsam mit dem Noise-Duo Dÿse in ein lärmendes Mahnmal verwandelt. Außerdem Eisenkopf, ein wuchtiges Hardrock-Cover der Band Schweisser und das rasende Destroy Fascism – ursprünglich von Endstand – das kompromisslos in unter zwei Minuten alles niederreißt.
Fazit:
Mit Heimat liefern Heaven Shall Burn ein Album, das weit über die Grenzen des Metalcore hinausweist. Es ist Soundtrack und Stellungnahme, Katharsis und Kommentar. Der Thüringer Wald wird zur Metapher, zum Ort innerer Zerrissenheit, zu einem Schlachtfeld zwischen Herkunft, Verlust und Widerstand.
Dieses Werk fordert, überfordert – und belohnt. Für Fans, ist Heimat ein Pflichtkauf. Für Neueinsteiger ein intensiver, klug komponierter Einstieg in das Herz einer Band, die seit jeher Haltung zeigt.
Der Vogtlandstreicher verleiht 4 von 5 Streichern

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