Being Hipp: First Lady of European Jazz – Die Wiederentdeckung einer verlorenen Stimme

Titelfoto: Wikipedia
Wo alles begann, feiert die Dokumentation „Being Hipp: First Lady of European Jazz“ am Sonntagabend Premiere – eine filmische Heimkehr für Jutta Hipp, die einst von Leipzig aus in die große Welt des Jazz aufbrach.

Die Leipzigerin war ein Phänomen ihrer Zeit: weiblich, deutsch und zugleich die erste weiße Jazzpianistin in den USA, die internationales Ansehen erreichte. Ohne klassische Ausbildung, allein durch Talent und unerschütterliche Leidenschaft, bahnte sich die Autodidaktin in den 1950er Jahren ihren Weg von den Untergrundclubs Leipzigs über die Jazzkeller der US-Besatzungstruppen am Tegernsee bis auf die Bühne des legendären Hickory House in New York.

Dort eroberte sie mit ihrem unverwechselbaren Stil Publikum und Kritiker gleichermaßen – als erste Frau beim renommierten Blue Note Label und als, wie es damals hieß, „Fräuleinwunder“ am Piano. Doch der Glanz ihrer Karriere war trügerisch: hinter der Strahlkraft verbarg sich ein Leben voller Brüche, Zweifel und mutiger Wendungen.

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Dokumentation Being Hipp beleuchtet das Leben einer Jazzpionierin

Die Dokumentation widmet sich dieser faszinierenden Künstlerin mit bislang unveröffentlichten Film- und Tonaufnahmen, ergänzt durch Interviews mit Jazzgrößen wie Terri Lyne Carrington, David Amram, Thomas Heberer und Sheila Jordan. Zusammen mit seltenem Archivmaterial entsteht ein eindrucksvolles Porträt einer Frau, die sich in einer von Männern dominierten Welt behauptete.

Der Film führt die Zuschauer zurück zu Hipps ersten Begegnungen mit der „verbotenen Musik“ im Nazi-Deutschland, zeichnet ihre Flucht in den Westen nach, erzählt von der Geburt ihres Sohnes Lionel und begleitet sie schließlich beim kometenhaften Aufstieg in der amerikanischen Jazzszene.

Jenseits des Erfolgs – die Schattenseiten des Ruhms

Doch Regisseurin Anna Schmidt belässt es nicht bei der Erfolgs-Biografie zeigt auch die dunklen Facetten dieses Lebens: Sexismus, Rassismus, Selbstzweifel und Alkoholismus waren ständige Begleiter der Musikerin. Als sich Hipp gegen eine Affäre mit ihrem Agenten wehrt, verliert sie die Unterstützung der Branche.

Im Jahr 1960 zieht sie sich vollständig aus der Öffentlichkeit zurück, verlässt die Bühne und arbeitet fortan in einer Textilfabrik. Dort, fernab von Ruhm und Scheinwerfern, findet sie endlich Ruhe – und eine späte Form inneren Friedens.

Anna Schmidt und die Kunst des stillen Erzählens

Die Regisseurin Anna Schmidt, bekannt für ihre einfühlsamen Porträts von Künstlerinnen und Außenseitern, begegnet Jutta Hipp mit stiller Empathie statt mit Pathos. Ihre Kamera beobachtet, statt zu erklären. Zwischen vergilbten Fotografien und verrauschten Aufnahmen entfaltet sich ein filmischer Rhythmus, der Hipps Zerrissenheit spürbar macht – zwischen Selbstbehauptung und Rückzug, zwischen Freiheit und Verletzlichkeit.

„Being Hipp“ ist weit mehr als eine klassische Musikdokumentation. Es ist eine berührende Reise durch das Leben einer Frau, die sich ganz der Freiheit der Musik verschrieb, allen Widerständen trotzte – und schließlich an ihrem eigenen Anspruch zerbrach.

Der Film macht deutlich, dass Hipps Geschichte auch heute noch relevant ist: als Symbol für Mut, Unabhängigkeit und das Ringen um Identität in einer männerdominierten Welt.

Nach der Filmpremiere in Leipzig fand ein moderiertes Gespräch statt. Julia Hemmerling (Jazz Labor / MDR) führte durch den Abend und sprach mit Anna Schmidt sowie Ilona Haperkamp, der Autorin der Jutta-Hipp-Biografie „Plötzlich Hip(p)“. Dieser Austausch ließ die Pianistin noch einmal aufleben – leise, eigensinnig und unvergessen –, ganz so, wie es die Dokumentation zelebriert: als ein Denkmal für eine Künstlerin, die sich nie vereinnahmen ließ.

Der Film wird voraussichtlich Anfang 2026 auf Arte ausgestrahlt.

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