Faber-Castell ordnet Produktion neu – auch Geroldsgrün steht vor Stellenabbau

Der Schreibwarenhersteller Faber-Castell stellt seine deutschen Standorte Stein, Geroldsgrün und das Nürnberger Logistikzentrum neu auf. Im Rahmen der globalen Strategie „ONE Faber-Castell“ sollen einzelne Fertigungslinien aus den Bereichen „Schreiben + Zeichnen“ und „Cosmetics“ künftig in Brasilien und Peru betrieben werden. Rund 130 Arbeitsplätze könnten in Deutschland wegfallen. Das Unternehmen begründet diesen Schritt mit gestiegenem Kostendruck, internationalen Wettbewerbsbedingungen und der Notwendigkeit, die eigenen Standorte stärker auf hochwertige Premiumprodukte auszurichten.

Wirtschaftliche Ausgangslage

Die Entscheidung fällt in einer Phase, in der Faber-Castell wirtschaftlich stabil dasteht. Der Umsatz sank im ersten Corona-Jahr auf rund 452 Mio. €, erreichte jedoch bereits 2022/23 mit 649 Mio. € einen historischen Höchststand und liegt auch 2023/24 weiterhin deutlich über dem Vorkrisenniveau. Parallel dazu blieb das Unternehmen durchgehend profitabel. In den Jahren der Pandemie lagen die Periodenergebnisse bei jeweils etwa 10 Mio. €, bevor 2021/22 und 2022/23 Gewinne im Bereich von 48 bis über 50 Mio. € erzielt wurden. Erst im jüngsten Abschluss ist ein Rückgang zu verzeichnen, jedoch weiterhin auf solidem, zweistelligen Millionen­niveau.

Eine zentrale Kennzahl für die Stabilität eines Unternehmens ist das Eigenkapital, also der Anteil, der nicht durch Kredite finanziert ist. Dieser Wert ist bei Faber-Castell über mehrere Jahre hinweg gestiegen und erreicht inzwischen fast 50 % der Bilanzsumme. Eine solche Quote steht für eine robuste Kapitalbasis und zeigt, dass die Umstrukturierung nicht aus einer akuten finanziellen Notlage heraus erfolgt.

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Kostendruck in zentralen Bereichen

Trotz der soliden Ergebnisse verändert sich die Kostenstruktur spürbar. Die durchschnittlichen Kosten pro Beschäftigten sind gestiegen, obwohl die weltweite Mitarbeiterzahl von 7.229 auf 6.762 gesunken ist. Dieser Effekt geht auf tarifliche Anpassungen, höhere Sozialabgaben und eine allgemein angespannte Lage am Arbeitsmarkt zurück. Gleichzeitig zählen Material, Energie und Logistik zu den Kostenblöcken, deren Entwicklung seit 2021 in vielen Branchen belastend wirkt. Lieferengpässe, gestiegene Rohstoffpreise und stark schwankende Transportkosten erreichten in dieser Zeit Höchststände — auch laut Lagebericht von Faber-Castell.

In Südamerika betreibt Faber-Castell seit Jahrzehnten große Fertigungsstätten, die auf hohe Produktionsmengen ausgelegt sind und erheblich niedrigere Produktionskosten aufweisen als deutsche Standorte. In diesem Umfeld stellt sich die Frage, ob bestimmte standardisierte Produktlinien in Deutschland langfristig wirtschaftlich gefertigt werden können, wenn gleichzeitig die Kosten dynamisch steigen und der internationale Preisdruck zunimmt.

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MaterialaufwandEnergiekostensteigerung
2020: 205,3 Mio. €2020: −4,8 %
2021: 217,4 Mio. €2021: +10,4 %
2022: 263,3 Mio. €2022: +29,7 %
2023: 308,4 Mio. €2023: +5,3 %
2024: 367,6 Mio. €2024: −3,2 %

Infobox: Warum die Gewinne trotz Kostenanstieg stabil blieben
Obwohl Material-, Energie- und Logistikkosten seit 2020 deutlich gestiegen sind, blieb der Gewinn von Faber-Castell stabil, weil das Unternehmen parallel stark gewachsen ist. Höhere Umsätze, erfolgreiche Preiserhöhungen und ein Wechsel hin zu margenstärkeren Premiumprodukten haben die gestiegenen Kosten überkompensiert. Ohne dieses Wachstum würden die Kostensteigerungen deutlich stärker im Ergebnis sichtbar werden.

Grafik: Jürgen Dirrigl – Vogtlandstreicher

Rolle der deutschen Standorte

Deutschland bleibt für das Unternehmen zentral, jedoch mit veränderter Funktion. Ein Schwerpunkt liegt künftig auf Premiumprodukten, technologisch anspruchsvollen Linien und innovationsnahen Bereichen. Das zeigt sich auch in den Investitionen in Forschung & Entwicklung (F&E), die im Abschluss dokumentiert sind. Der F&E-Aufwand beträgt 5,2 Mio. €, nach 6,3 Mio. € im Vorjahr — ein messbarer Kern der zukünftigen Ausrichtung.

Die frei werdenden Flächen an den deutschen Standorten sollen laut Unternehmen gezielt für den Ausbau hochwertiger Produkte genutzt werden. Das betrifft Serien, die durch besondere Pigmentierungen, Materialien oder technische Eigenschaften gekennzeichnet sind und damit ein Preissegment bedienen, das weniger vom globalen Kostenwettbewerb bestimmt wird als standardisierte Schul- oder Bürostifte.

Für Geroldsgrün bedeutet die Neuausrichtung dennoch einen Einschnitt. In Summe sollen rund 130 Stellen an den deutschen Standorten Stein und Geroldsgrün entfallen, darunter nach aktuellem Stand rund zwei Dutzend in Geroldsgrün. Faber-Castell kündigt an, den Übergang sozialverträglich zu gestalten. Dazu zählen Altersteilzeitregelungen, Ruhestandsmodelle und der Verzicht auf harte Kündigungswellen, soweit es die betrieblichen Abläufe zulassen.

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Struktur und Strategie im globalen Wettbewerb

Die Entscheidung zur Verlagerung entsteht nicht aus einem akuten Druck, sondern aus dem langfristigen Bemühen, das Produktionsnetz an veränderte Marktbedingungen anzupassen. Standardisierte Produkte mit geringer Differenzierung stehen weltweit im Preiswettbewerb. Schon kleine Abweichungen in Energie- oder Materialkosten entscheiden darüber, ob ein Produkt auf globalen Märkten bestehen kann. In Ländern wie Brasilien oder Peru, wo Faber-Castell große Produktionskapazitäten aufgebaut hat, sind diese Einzelkosten geringer. Ein Unternehmen, das im Massenmarkt bestehen will, muss diese Faktoren berücksichtigen.

Vergleichbare Entwicklungen in der Branche

Ähnliche Bewegungen lassen sich bei anderen Herstellern aus der Schreibwaren- und Kosmetikbranche beobachten. Staedtler hat seine Produktion über viele Jahre internationalisiert und betreibt neben mehreren Werken in der Metropolregion Nürnberg inzwischen Produktionsstandorte u.a. in Indonesien und Thailand. In den Jahren um 2017/2018 wurden in Thailand erweiterte Kapazitäten aufgebaut, einschließlich eines zweiten Werkes, das seither als globaler Fertigungsstandort dient. Konkrete Angaben dazu, wie viele Arbeitsplätze in Deutschland dadurch entfallen sind, werden öffentlich nicht ausgewiesen.

Auch Stabilo verfolgt seit Jahren eine international gestützte Produktionsstruktur. Die Marke fertigt heute in eigenen Werken in Deutschland, der Tschechischen Republik und in Malaysia und beliefert von dort aus mehr als 180 Länder. Diese Verteilung wird in Unternehmensunterlagen als Teil einer globalen Wachstums- und Kostenstrategie beschrieben; konkrete Verlagerungszahlen einzelner Werke werden jedoch nicht öffentlich aufgeschlüsselt.

Im Kosmetikbereich hat Schwan Cosmetics, die Kosmetiksparte der Schwan-STABILO-Gruppe, ihr Produktionsnetz deutlich verbreitert. In den Jahren um 2019 wurde der Standort im tschechischen Český Krumlov weiter ausgebaut, wo ein neues Werk für Holz-Kosmetikstifte in Betrieb ging. Heute betreibt Schwan Cosmetics Produktionsstandorte u.a. in Deutschland, der Tschechischen Republik, den USA, Mexiko, Brasilien, Indonesien, China und Kolumbien, organisiert als globales Netzwerk. Auch hier werden in öffentlichen Berichten keine konkreten Daten zu abgebauten oder aufgebauten Arbeitsplätzen in einzelnen Ländern genannt.

Der Blick auf diese Unternehmen zeigt, dass Produktionsverlagerungen oder der Aufbau neuer Werke in Regionen mit günstigeren Kostenstrukturen längst keine Ausnahme mehr sind. Sie folgen einer Branchenlogik, in der Standardprodukte zunehmend dort gefertigt werden, wo Material-, Energie- und Lohnkosten niedriger sind.

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Parallel zu den strategischen Erwägungen rückt eine weitere Dimension in den Fokus, die bei Traditionsunternehmen dieser Größe und Geschichte häufig mitschwingt: die unternehmensmoralische Verantwortung gegenüber dem eigenen Standort. Faber-Castell ist seit Jahrhunderten eng mit der Region Stein verbunden und zählt zu den bekannten industriellen Arbeitgebern Bayerns. Damit geht nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein gesellschaftlicher Fußabdruck einher. Der Erhalt von Arbeitsplätzen, die langfristige Sicherung industrieller Kompetenz und die Kontinuität von Steuerzahlungen im Inland sind Teil dieses Gefüges. Die Verlagerung von Fertigungen ins Ausland ist in vielen Fällen betriebswirtschaftlich nachvollziehbar, verändert jedoch das Verhältnis zwischen lokaler Wertschöpfung und globaler Optimierung. Sie wirft die Frage auf, wie ein weiterhin profitables Unternehmen seine Verantwortung gegenüber den Regionen gewichtet, aus denen es historisch gewachsen ist.

Zwischen betriebswirtschaftlicher Logik und historischer Verantwortung

Die Neuausrichtung zeigt also zwei Wirklichkeiten: Auf der einen Seite steht die strategische Logik eines global agierenden Konzerns, der Kostenstrukturen, Produktionsvolumen und internationale Wettbewerbsbedingungen abwägt und seine Fertigung dorthin verlagert, wo sie langfristig günstiger betrieben werden kann. Auf der anderen Seite bleibt die Rolle, die ein Traditionsunternehmen wie Faber-Castell über Jahrzehnte hinweg für seine deutschen Standorte übernommen hat: als Arbeitgeber, als wirtschaftliche Konstante und als Teil regionaler Identität. Die aktuelle Entscheidung bewegt sich genau in diesem Spannungsfeld. Sie folgt ökonomischen Überlegungen und stellt gleichzeitig Fragen an die Verantwortung, die ein Unternehmen gegenüber den Regionen trägt, aus denen es historisch gewachsen ist.


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Nach 20 Jahren Krieg, Krise und dem großen Ganzen journalistisch in das beschauliche Vogtland gewechselt. Ein Momentesammler und Geschichtenerzähler. Neugierig, nahe an den Menschen und manchmal ein bisschen frech. :) Autorenprofil/Vita