Titelfoto: Theater Plauen-Zwickau – Superhuman
Gleißendes Licht, Gänsehautmomente und minutenlanger Applaus – das war der kraftvolle Nachhall eines außergewöhnlichen Abends im Zwickauer Gewandhaus, der das Publikum in seinen Bann zog. Worte wie „Wahnsinn“, „so cool“ und „genial“ hallten durch die Reihen, als sich der Saal langsam leerte. Was das Ballettensemble des Theaters Plauen-Zwickau an diesem Abend mit “Gegen den Strom” auf die Bühne brachte, war nichts weniger als eine berührende Hommage an die Ausdruckskraft des Körpers.
Fünf Teile, fünf Handschriften – ein tanzender Kosmos
In fünf eigenständigen Choreografien ließ das Ensemble die Tiefen und Höhen menschlicher Emotionen lebendig werden – jede mit einer unverwechselbaren Handschrift. Vier der fünf Choreografen stammen selbst aus den Reihen des aktuell aktiven Ensembles und bewiesen eindrucksvoll, wie facettenreich Tanz sein kann.
Stefano Neri: Seelentiefe in „Anima Indocilis“
Der Italiener Stefano Neri, der bereits an einem anderen Haus als kreativ gewirkt hat, eröffnete den Abend. Geschmeidig lässt er die Tanzenden in „Anima Indocilis“ ganz in Weiß aus dem Nebel hervor steigen und zu einer Menge werden, bricht sie wieder, zerreißt sie. Er rührt mit den Szenen zu „Fields of Purple“ ganz tief an und in der Seele. Es ist ein Spiel mit Nähe und Zerbrechlichkeit: „Du kämpfst mit der Welt, die dich ansieht und fragt: Warum?“ – dieser Satz bleibt haften. Auf den Masken glitzern Elemente wie aus einer Discokugel gerissen – die entstehenden Lichtblitze setzen visuelle Impulse.

Minsu Kim: Popkultur trifft Gefühlsexplosion
Kaum ist das Echo verklungen, ertönen die ersten Takte von Minsu Kims Choreografie “River of Poet”. Der Tänzer aus Korea, dessen Arbeit in der Vergangenheit bereits prämiert wurde, verbindet Musik und Bewegung auf scheinbar widersprüchliche Weise – doch das Ergebnis ist ein harmonisches Zusammenspiel. Er versteht es Musik und Bewegung auf eine ganz spezielle Art zu verbinden. Als wäre es konträr und passt dann doch wieder, sind völlig unerwartete Akzente zu Liedern wie „YMCA“ und Adeles „One an only“ zu sehen. Letzteres löst in Verbindung mit dem was die Tänzerinnen und Tänzer zeigen Gänsehaut aus.

Davide Gentilini: Episches Erzählen in „Superhuman“
Und wer glaubt die Kreativität wäre schon erschöpft, revidiert schnell, wenn Davide Gentilini die italienische Tänzerin Sofia Borgo in „Superhuman“, übersetzt Übermensch, nahezu inszeniert. Fast ein wenig episch wirkt das Ganze, durch die Musik und Dynamik. „Fortuna Imperatrix Mundi“ aus Carmina Burana macht er sich für den dritten Teil zunutze. Gentilini selbst arbeitet beispielsweise schon für Ihsan Rustem, einer der Choreografen der es versteht Körper zu einem mehrstimmigen Chor verschmelzen zu lassen, und damit Botschaften jenseits der Sprache vermittelt.
Junior Oliveira: Zwischen Wasser und Feuer – „Step out loop“
Für den vierten Teil erschuf Junior Oliveira aus Brasilien ein Werk, dessen musikalische Grundlage er sich aus verschiedenen Quellen selbst zusammensetzte. Das Ergebnis ist „Step out loop“ – ein Stück, das aus Wellen zu entstehen scheint. Eine schimmernde Folie bringt Wasser auf die Bühne, um sich im nächsten Moment in glühende Lava zu verwandeln. Ein Spiel zwischen Elementen, Symbolik und Körperlichkeit – ein Beispiel für die Tiefe und Kreativität moderner Choreografie.
Lóránd Zachár: Tanz als Kinokunst in „Cuckoo“
Im finalen Teil hebt sich der Vorhang für ein visuelles Meisterwerk: „Cuckoo“ von Gastchoreograf Lóránd Zachár beginnt mit dem Ruf des gleichnamigen Vogels – und führt das Publikum auf eine surreale Reise vom Wald in die Hölle. Sekundenbruchteile werden durch Sprache und Tanz perfekt synchronisiert, Stühle tanzen, Worte dringen ein. Mit rund 50 Choreografien im Repertoire, internationaler Lehrtätigkeit und Engagements in Budapest, bringt Zachár eine opulente Geschichte auf die Bühne – getragen von eigens komponierter Musik. Er fordert das Ensemble heraus, fördert Individualität und hebt bislang unentdeckte Potenziale ans Licht. Die bildgewaltige Inszenierung wirkt fast cineastisch und lässt das Publikum überwältigt zurück.

Ein Pflichttermin für Tanzliebhaber – und solche, die es werden wollen
Dass „Gegen den Strom“ nur noch ein einziges Mal, am 24. Mai, im Zwickauer Gewandhaus gezeigt wird, ist nahezu Verschwendung für die Kulturlandschaft. Wer Ballettaufführungen liebt, wird dieses Erlebnis feiern. Wer noch nicht verstanden hat, welche Kraft Tanzkunst entfalten kann, bekommt hier eine eindrucksvolle Einführung. Dieses Werk zeigt, wie aus Bewegung Magie entsteht – und warum Tanz weit mehr ist als bloße Ästhetik.
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