Christian von Aster: “Mein Kopf nahm vermutlich schon sehr früh andere Abzweigungen.”

Titelfoto: Neurographer
Er ist Autor, Hörspielmacher, Geschichtensammler – und ein echter Grenzgänger der Phantastik. Christian von Aster sprengt Genregrenzen, jongliert mit Humor, Skurrilem und schwarzer Magie und begeistert damit Publikum von Lesungen bis Festivals wie dem Wave-Gotik-Treffen oder in wenigen Tagen dem Festival Mediaval (12. – 14. September 2025 in Selb.

Ob skurrile Romane, wilde Kurzgeschichten oder episches Märchenprojekt – von Aster zeigt, dass Geschichten mehr sind als Worte auf Papier. Sie sind Abenteuer, Spielplatz und Spiegel der Fantasie zugleich. Am 20. September kommt Herr von Aster – wie er hauptsächlich genannt wird – sogar nach Plauen. Im Luftschutzmuseum Meyerhof findet eine Schmökersofa-Veranstaltung mit ihm statt. Karten gibt es ab Montag im Teeladen an der Marktstraße.

Im Interview erzählt Christian von Aster, wie Ideen entstehen, warum er sich nie auf ein Genre festlegen würde und welche Rolle Kraken gerade spielen:

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Du nennst dich “literarischer Hedonist” – was genau bedeutet das für dein Schreiben und deinen Alltag?

Vor allem bedeutet es, dass ich, ohne auf Verkaufszahlen, den Markt oder die herrschende literarische Mode zu achten, grundsätzlich zu schreiben versuche, wonach mir ist. Was mal Kinderbücher, mal Schauergeschichten, dann wieder Gedichte und nicht zuletzt auch die Tagebücher einer übergewichtigen Taube sind. Zugrunde liegt dieser Haltung die aus dem Bedürfnis gewachsene Fähigkeit, mich auf Dinge, Menschen und Ideen einlassen zu können. Wenn etwas oder jemand mich inspiriert, möchte ich mich interessieren können. Zeit und anderweitige Kapazitäten haben, um in Austausch zu gehen, kennenzulernen, zu reflektieren und die oberflächliche Wahrnehmung so schnell wie möglich zu verlassen. Das gelingt mir leider nicht immer aber immer besser.

Gab es ein prägendes Erlebnis in deiner Kindheit, das dich zum Geschichtenerzählen gebracht hat?

Eingehenden diesbezüglichen Recherchen zufolge – ich bin ernsthaft bestrebt herauszufinden, wie das alles zustande gekommen ist – war das eine Erfahrung mit meinem Großvater, der selber Maler war, nur arbeiten konnte, wenn er inspiriert war und mir vermutlich schon die fatale genetische künstlerische Grunddisposition vererbte. Als Kind saß ich dann regelmäßig auf seinem Schoß und bekam Geschichten erzählt. Und in seinen Tagebüchern ist tatsächlich überliefert, wie ich dann mit vier Jahren beschloss, jetzt ihm eine Geschichte zu erzählen. Es übrigens war “Die Geschichte vom Wolf, der Fliegen frisst”, die vermuten lässt, dass mein Kopf schon früh andere Abzweigungen nahm.

Wie entsteht eine Geschichte bei dir: zuerst die Idee, die Figur oder die Welt?

Das ist, weil ja alle Geschichten verschieden sind, zumindest bei mir fast jedes Mal anders. Genau so wie Herangehensweise und Umsetzung. Meist steht am Anfang ein Gespräch und dann, der nicht selten laut gedachte Gedanke: „Das wäre eine famose Geschichte!“. Manche basieren auf einem einzigen Wort, andere auf einem Bild, wieder andere sind von der Pointe aus gedacht. Motive, Gefühle, Figuren, Beziehungen, in all dem ruhen Geschichten, die es nur zu entfalten gilt.

Fantasy, Satire, Hörspiele – wie entscheidest du, welches Format für eine Idee am besten passt?

Meiner Meinung und meinem Gefühl zufolge, sagt einem jede Geschichte, was sie braucht. Man muss nur zuhören lernen. Ich fürchte, ich bin da bei Geschichten mitunter sogar besser als bei Menschen. Und meist erkennt man meines Erachtens sogar, wenn eine Geschichte eine Form hat, die nicht passt. Zum Beispiel wenn Kurzgeschichten zu Kinofilmen aufgeblasen werden oder Stoffe nicht zuletzt der Vermarktung wegen bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasen und am Ende zu schlicht allem werden, so dass man ein Buch, einen Film, ein Musical und sogar die Bettwäsche hat. Bettwäsche ist allerdings ein Format, an das ich mich so. noch nicht herangetraut habe.

Deine Geschichten verbinden Humor, Phantastik und Subversion. Welche Intention steckt eigentlich dahinter?

Keine. Zumal ich die Kernelemente vermutlich nicht einmal auf diese drei reduzieren würde. Ich widme mich schreiberisch dem, was mich anspricht und versuche dem Text zu geben, was er braucht. Der einzige gemeinsame Nenner in diesem Schreiben – auch ich habe eine Zeit lang versucht, zu verstehen was ich eigentlich mache – ist meines Erachtens Geist und Humor. Weil es zum einen etwas ist, dass ich schätze, dass mir in gewissem Maß gegeben ist und das, um Menschen zu erreichen ein treffliches Rüstzeug ist. Ich nutze, was ich habe und was ich über die Jahre trainiert habe. Wobei ich im Ideen haben besser als im Schreiben bin. Da herrscht leider ein schmerzliches Missverhältnis.

Du hast über 450 Märchen gesammelt und aufgearbeitet? Stimmt das? Wofür die ganze Arbeit?

Gesammelt und gerettet haben wir sie damals. Vor allem aus einem großen Nachlass. Mein Riese und ich sind dafür eigens nach Berlin gefahren und dann mit einem VW-Bus voller Märchen nach Suhl. Das war für das Projekt MÄRCHEN GESTALTEN LEBEN, das vor allem die Relevanz herausstellen sollte, die alte Geschichten, die freilich in ihrer Botschaft mitunter veraltet, aber vor allem nicht dafür gedacht sind, verkauft zu werden, sondern Menschen etwas mitzugeben. Weil sie die Reste ja vor allem die Reste der alten Mythen sind. Durchgearbeitet haben wir die Bücher. Im Ansatz zumindest. Aufgearbeitet wäre zu viel gesagt. Die Idee, war vor allem, Lesungen in Schulen zu halten, junge Menschen für Märchen zu begeistern und eine lebendige Märchenbibliothek zu schaffen. Aber das hat sich leider als eine Aufgabe herausgestellt, die sich allein oder zu zweit nur bewältigen lässt, wenn man sich ihr über einen längeren Zeitraum komplett verschreibt. Was auch, da das Ganze unkommerziell gedacht war, noch etwas schwieriger war.

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Zeichnung: Vladi Krafft

Wie gehst du mit schwierigen Phasen oder Schreibblockaden um?

Ich glaube, inzwischen habe ich – auch wenn der Weg ein steiniger war – gelernt, das künstlerisch zu tun. In schwierigen Phasen stecken mitunter die besten Geschichten. Und eine Schreibblockade ist ein großartiges Thema um darüber zu schreiben. Vielleicht, um das Ganze noch mit einem praktischen Beispiel zu unterfüttern: Als ich vor einigen Jahren eine wirkliche dunkle depressive Phase durchlebte, in der ich nicht einmal zu schreiben vermochte, habe ich stattdessen, weil Kunst schlussendlich meine Sprache ist, meine Depressionen gezeichnet jeden Tag eine manifestiert und jetzt, Jahre später, aus dem was mich fast kaputt gemacht hat, etwas Schönes gemacht. Das Ergebnis ist ein kontermelancholisches Zwergdepressionsmemo, mit dem wir schlussendlich die Depression und sogar noch den Kapitalismus ausgetrickst haben. Aber das ist eine andere Geschichte.

An welchem Projekt arbeitest du gerade, das dir besonders am Herzen liegt?

Das wären sowohl ein von mir erfundenes Spiel, The Boxing Kraken, an dem ich nun schon über ein Jahr arbeite und das gerade über ein Crowdfunding realisiert wird (www.startnext.com/the-boxing-kraken) sowie der zweite Roman meiner Trilogie über die Abenteuer des jüdischen Meisterdetektivs Shylock Holmes und seines Assistenten Dr. Wa’Tsun.

Kannst du mal aufzählen, was du im Moment überhaupt so alles machst?

Da wäre z.B. der zweite Teil der Boar Boys (quasi eine Tarrantino Koboldgeschichte), drei Weihnachtsgeschichten (eine im Mantel- und Degengenre, eine mit Tod und Weihnachtsmann und eine Kindergeschichte), The Boxing Kraken, der Holmes, eine Schiffe-Versenken Variante mit Zombies, dann erscheint bald das Neudeutsch 2.0 Kompendium und die Neuauflage von Sieben Arten Dunkelheit, gerade arbeite ich an den Lesungen für das kommende Wochenende, gestern habe ich für eine baldige Museumsausstellung einen Text aus Sicht eines römischen Bürgers aus dem ersten Jahrhundert vor Christus verfasst, darüber hinaus bereite ich gerade schon meine Wohnzimmerlesetour für das kommende Jahr vor, arbeite an einem Podcastformat sowie einem neuen Lesebühnenkonzept für Leipzig und bereite die sechzehnte Ausgabe von Mythen, Monster und Mysterien, dem Veranstaltungsflaggschiff der Parakryptozoologischen Gesellschaft vor. Was vermutlich alles furchtbar wichtigtuerisch wirkt, aber vollauf den Tatsachen entspricht. Während ich mehr als dankbar bin, mein an der Seite famoser Menschen mit einer Aberunzahl Ideen fristen zu dürfen, die mir bisweilen gestatten, sie umzusetzen.

Wenn du nur noch ein Genre bedienen dürftest, welches würdest du wählen?

Statt zu wählen, würde ich den Grund für diese hypothetische Einschränkung finden und nachhaltig aus dem Weg räumen.

Was inspiriert dich aktuell am meisten?

Wie stets und immer schon und so wenig klug es auch klingen mag, das Leben.

Was würdest du sagen war das außergewöhnlichste was du jemals veröffentlich/produziert hast?

Bromley. (K)ein Agentenroman.

Du bist bald beim Festival Mediaval? Was kann man da von dir erleben?

  1. Ja. B) Alles, was ich erlebbar zu machen vermag und man selbst zu erleben wagt.
Nachgefragt bei…Christian von Aster
Lieblingsessen: ein Salat namens Dienstag
Lieblingsmusik: Solfeggio
Lieblingswort: Altersarmut
Lieblingsort: im Flow
Lieblingsmoment: jetzt

Mehr zum Thema: Hypothetische Fauna: Parakryptozoologische Gesellschaft trifft sich bald in Leipzig

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