Scherdel-Brauerei in Hof steht vor der Schließung: Zahlen, Gründe, Schicksale

Morgens liegt über dem Unterkotzauer Weg in Hof noch dieser süßlich-warme Geruch nach Malz und nasser Luft. Dort steht die Brauerei Scherdel, seit Generationen ein vertrauter Teil der Stadt, fast so selbstverständlich wie das Rathaus oder der Wochenmarkt. Für viele Hoferinnen und Hofer ist sie ein Stück Heimat – das Bier mit dem goldenen Schriftzug, das Gefühl von Verlässlichkeit. Nun ist klar: Diese Verlässlichkeit bekommt ein Enddatum.

Die Kulmbacher Brauerei AG, zu der Scherdel seit über zwanzig Jahren gehört, will den Standort in Hof bis Ende 2026 schließen. Das bestätigte das Unternehmen Mitte Oktober. Betroffen sind rund 35 Beschäftigte, die zum Teil in andere Betriebe versetzt werden sollen. Das Bier, das weiterhin unter dem Namen Scherdel verkauft werden wird, soll künftig im sächsischen Plauen-Neuensalz gebraut werden – am modernen Standort der Sternquell-Brauerei, ebenfalls Teil des Kulmbacher Konzerns.

Brauerei Scherdel Schließung
Foto: KI-generiert – Dunkle Wolken über dem Brauereistandort Hof
Zwischen Tradition und Zahlen

Als die Stadt Hof die Nachricht erhielt, reagierte sie mit spürbarer Betroffenheit. Oberbürgermeisterin Eva Döhla sprach von einer Entscheidung, die „überrascht und schmerzt“. Scherdel habe, so Döhla, „Hof über Jahrzehnte als Genussort geprägt und weit über die Region hinaus bekannt gemacht“.

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Doch hinter der Emotion steht eine nüchterne Kalkulation. Der Absatz der Marke Scherdel hat sich nach Angaben des Unternehmens in den vergangenen zwanzig Jahren etwa halbiert. Parallel sind die Kosten gestiegen – Energie, Rohstoffe, Personal, Logistik. Gleichzeitig hätte das Werk in Hof umfassend modernisiert werden müssen, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Die Rede ist von einem Investitionsbedarf in Millionenhöhe. Für den Konzern ergibt sich daraus eine klare wirtschaftliche Logik: Produktion dorthin verlagern, wo bereits moderne Anlagen stehen und der Energieverbrauch deutlich niedriger ist.

Die Macht der Effizienz

Das neue Sudhaus im vogtländischen Neuensalz, nur wenige Kilometer hinter der bayerischen Grenze, wurde 2016 in Betrieb genommen. Es ist ein Paradebeispiel für die Industrialisierung im Brauwesen: weniger Energieverbrauch, automatisierte Prozesse, gebündelte Logistik. Für den Konzern bedeutet das geringere Kosten pro Hektoliter und mehr Flexibilität, um mehrere Marken unter einem Dach zu produzieren.

Das Konzept ist nicht neu. Schon 2017 hatte die Kulmbacher-Gruppe den Standort der Brauerei Braustolz in Chemnitz geschlossen und deren Markenrechte nach Plauen verlagert. Der Fall Scherdel folgt diesem Muster – und zeigt, dass die großen Brauereigruppen ihre Kapazitäten zunehmend zentralisieren. Es geht um Marktanteile, Kostendruck und Synergien, nicht um die Herkunft eines Bieres.

Trotzdem ist der Schritt für Hof ein tiefer Einschnitt. Die Brauerei ist mehr als ein Arbeitgeber. Sie ist identitätsstiftend – gerade in einer Stadt, die stolz auf ihre Traditionen ist. Ob beim Schlappentag, dem großen Hofer Fest, oder im täglichen Leben: Scherdel gehört zur Stadt, wie das Festbier zum Sommer.

Eigentum und Struktur – verständlich erklärt

Rein rechtlich gehört die Brauerei Scherdel Bier GmbH & Co. KG zur Kulmbacher Brauerei AG. Diese ist wiederum Teil der Paulaner Brauerei Gruppe, die über den Münchner Schörghuber-Konzern und Heineken international eingebunden ist.

Scherdel selbst veröffentlicht keine eigenen Jahresabschlüsse – das erlaubt § 264b des Handelsgesetzbuchs. Der Paragraph besagt, dass Tochterfirmen ihre Einzelbilanzen nicht offenlegen müssen, wenn sie im Konzernabschluss einer Muttergesellschaft enthalten sind. In diesem Fall erscheinen die wirtschaftlichen Daten also nur gebündelt in den Unterlagen der Kulmbacher Brauerei AG.

Diese wiederum verzeichnete im Jahr 2024 einen Umsatz von rund 290,9 Millionen Euro, ein operatives Ergebnis (EBIT) von 12,7 Millionen Euro und einen Free Cash Flow von knapp 21 Millionen Euro. Der Konzern setzte etwa 3,6 Millionen Hektoliter Bier ab – in einem deutschen Markt, der insgesamt um 1,4 Prozent schrumpfte. Zahlen, die deutlich machen: Die Gruppe steht solide da. Nur Hof passt in dieses Bild nicht mehr hinein.

Brauerei Scherdel Kulmbacher
Ein Traditionsstandort schließt

Die Geschichte von Scherdel in Hof ist lang. Ursprünglich eine Privatbrauerei, wurde das Unternehmen 2003 nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten von der Kulmbacher Brauerei übernommen. Der Standort blieb erhalten, die Marke wurde gepflegt. Doch mit jedem Jahr wuchs der Druck: sinkender Bierkonsum, steigende Kosten, wachsender Wettbewerb.

Was in Zahlen nüchtern klingt, hat für die Stadt emotionale Tiefe. 35 Menschen, die hier teils ihr Berufsleben verbracht haben, blicken einer ungewissen Zukunft entgegen. Die Stadtverwaltung will in Gesprächen mit dem Unternehmen klären, welche Transfer- oder Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestehen und wie das Areal künftig genutzt werden kann. Auch Fragen nach Denkmalschutz und möglichen Altlasten stehen im Raum.

Was aus der Marke wird

Die Marke Scherdel selbst wird weiterbestehen. Der Konzern betont, dass Rezeptur und Qualität unverändert bleiben sollen. Für den Verbraucher wird sich auf der Flasche kaum etwas ändern – nur der Produktionsort. Unklar ist bislang, was mit dem beliebten „Schlappenbier“ geschieht, das jedes Jahr zum Hofer Schlappentag ausgeschenkt wird. Es ist ein Symbol für lokale Tradition, und seine Zukunft wird in der Stadt aufmerksam verfolgt.

Die Oberbürgermeisterin kündigte an, das Thema bei den Gesprächen mit dem Unternehmen ausdrücklich anzusprechen. Die Brauerei sei, so Döhla, „ein Teil unserer Identität, den wir nicht kampflos aufgeben“.

Infobox – Scherdel in Zahlen und Fakten (Stand: Oktober 2025)

Unternehmen: Scherdel Bier GmbH & Co. KG, Unterkotzauer Weg 14, 95028 Hof
Komplementärin: Scherdel Bier Beteiligungs- und Geschäftsführungs GmbH
Eigentümer: Kulmbacher Brauerei AG (mehrheitlich Paulaner Gruppe / Schörghuber Holding)
Beschäftigte: ca. 35 Personen
Geplante Schließung: bis Ende 2026
Grund: Absatz halbiert in ~20 Jahren, hohe Kosten, Investitionsbedarf in Millionenhöhe
Zukunft: Marke bleibt, Produktion verlagert nach Plauen-Neuensalz (Vogtlandkreis)
Konzernkennzahlen 2024 (Kulmbacher AG): Umsatz 290,9 Mio. €, EBIT 12,7 Mio. €, Absatz 3,64 Mio. hl
Branchenlage: Bierabsatz Deutschland 2024 –1,4 %, Inlandsabsatz –2,0 %

Vom Braukessel zur Perspektive

„Nach unserem derzeitigen Informationsstand bleibt der Betrieb noch bis ins kommende Jahr bestehen. Das gibt uns Zeit, gemeinsam mit dem Unternehmen und den Verantwortlichen über Perspektiven und die Fragen der Zukunft zu sprechen“, schreibt Döhla. Das verschafft der Stadt und den Verantwortlichen Zeit, um zu überlegen, wie der Standort weiter genutzt werden kann und wie Hof als „Genussort“ auch ohne eigene Brauerei glaubwürdig bleibt. Ein erstes Gespräch wird bereits in dieser Woche stattfinden.

Die wirtschaftlichen Gründe sind nachvollziehbar, die Entscheidung aus Konzernsicht konsequent. Aber wirtschaftliche Logik ist nicht alles. Sie erklärt, warum eine Brauerei geschlossen wird – sie erklärt nicht, was das für eine Stadt bedeutet, deren Alltag eng mit ihr verwoben war.

Wenn in zwei Jahren wirklich der letzte Sud in Hof gebraut wird, bleibt mehr zurück als ein leerer Gebäudekomplex. Es bleibt eine Geschichte, die viele in der Stadt persönlich betrifft – und die Frage, wie man die Tradition eines Brandings bewahren kann, wenn die Produktion fern der Markenheimat stattfindet.

Nachrichten Vogtland
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Nach 20 Jahren Krieg, Krise und dem großen Ganzen journalistisch in das beschauliche Vogtland gewechselt. Ein Momentesammler und Geschichtenerzähler. Neugierig, nahe an den Menschen und manchmal ein bisschen frech. :) Autorenprofil/Vita