Bio steht für das Gute: gesunde Lebensmittel, glückliche Tiere, faire Landwirtschaft – oder etwa nicht?
Was Verbraucherinnen und Verbraucher oft mit einem reinen Gewissen kaufen, ist hinter den Kulissen ein lukratives Milliardengeschäft. Grund genug, um hinter die grüne Fassade zu blicken – und darauf, dass Preisdruck, Tierleid und Machtkonzentration auch in der Bio-Welt Realität sind.
Ein Einkauf mit ausschließlich Bio-Produkten ist deutlich teurer als ein Einkauf mit konventionellen Lebensmitteln – das bestätigen auch Branchenanalysen. Laut dem Whitepaper „Zeitenwende im Bio-Fachhandel“ (Naturkost Nord – Whitepaper Nr. 27 – PDF-Download) beträgt der durchschnittliche Preisunterschied zwischen Bio-Fachhandel und konventionellem Lebensmittelhandel bis zu 50 Indexpunkte (z. B. bei Trockenprodukten, Molkereiwaren oder Gemüse).
Ein Beispiel: Für ein Kilogramm Bio‑Erdbeerjoghurt verlangt Alnatura aktuell rund 4,60 Euro, während Penny und Aldi mit jeweils etwa 2,60 Euro deutlich günstiger sind. Verbraucherschützer kritisieren diese fast 80‑prozentige Preisdifferenz als intransparent. Sie werfen dem Handel vor, Einsparungen bei Rohstoffen und Logistik nicht an die Kundschaft weiterzugeben, sondern stattdessen als zusätzliche Marge einzubehalten – was die Gewinne der Unternehmen steigen lässt.
Der Bio-Konzern Dennree konnte seinen konsolidierten Nettoumsatz 2024 um 1,49 Milliarden Euro steigern – ein Plus von 7,5 Prozent. Fachleute sehen darin einen klaren Hinweis darauf, dass erst die Preisgestaltung von Bio‑Produkten das Geschäft so lukrativ macht.
Es sind vor allem die Endverbraucherinnen- und Verbraucher, die mehr ausgeben – oft in dem Glauben, damit etwas Gutes zu tun. Die Landwirtinnen und Landwirte hingegen, selbst wenn sie biologisch produzieren, erhalten vom Handel meist nur geringe Preisaufschläge. Gleichzeitig steigt für sie der wirtschaftliche Druck. Alles ganz genau so, wie auch im klassischen Discounterbusiness.
Marktmacht und Landhunger – Große Player, kleine Bauern
Hinzu kommt, dass der Bio-Fachhandel zunehmend von wenigen großen Anbietern dominiert wird. Vor allem zwei Konzerne – Dennree (mit Denn’s Biomarkt) und Alnatura – beherrschen große Teile des Marktes. Diese Konzentration auf wenige Anbieter ist problematisch, auch aus ökologischer Sicht.
Ein Beispiel dafür ist die Übernahme einer 6000 Hektar großen Agrargenossenschaft durch Dennree. Diese Übernahme der Agrargenossenschaft Großzöbern im Vogtland, verbunden mit dem bereits zur Gruppe gehörenden Hofgut Eichigt, führte zur Bewirtschaftung von über 6100 Hektar Agrarfläche durch den BIO-Konzern. Kritiker werfen dem Unternehmen vor, auf diese Weise Landbesitz zu monopolisieren. Gewerkschaften kritisieren zudem schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und Versuche, Betriebsräte zu verhindern.

Auch für Bio-Bäuerinnen und -Bauern wird es schwieriger: Die starke Marktmacht der großen Handelsketten sorgt dafür, dass kleinere Erzeuger unter Preisdruck geraten. Viele können wirtschaftlich kaum mithalten und verlieren dadurch die Perspektive, langfristig nachhaltig zu wirtschaften.
Die ursprüngliche Idee des Bio-Gedankens – faire Bedingungen für Mensch, Tier und Natur – droht so unter die Räder zu geraten. Statt einer gerechten Verteilung der Wertschöpfung entsteht eine einseitige Machtverteilung, von der vor allem die großen Handelsunternehmen profitieren.
Rang* | Kette / Betreiber | Filialen (DE) | Schwerpunktregion(en) | Nettoumsatz 2024** | Kurzprofil |
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1 | Denn’s Biomarkt (Dennree) | ≈ 355 | bundesweit / AT, CZ | 1,49 Mrd. € | Marktführer; vertikal integriert (Großhandel + Filialen). (EHI Retail Institute, Lebensmittelpraxis.de) |
2 | Alnatura Super Natur Markt | ≈ 152 | bundesweit, Schwerpunkt Süd‑ & West‑DE | 1,195 Mrd. € | Familienunternehmen Rehn; zusätzlich 1 300 Eigenmarken‑Artikel im LEH. (Alnatura, Lebensmittelpraxis.de) |
3 | Bio Company | 60 | Berlin‑Brandenburg, Dresden, Hamburg*** | 201 Mio. € | Regionalmarktführer in der Hauptstadtregion, Fokus auf Eigenmarke & Regionalität. (BioHandel, Table.Media) |
4 | ebl‑Naturkost | 31 | Franken (Nürnberg/Fürth‑Umland) | ca. 113 Mio. € (2023) | Starke regionale Marke, eigene Metzgerei. (Wikipedia, handelsdaten.de) |
5 | Aleco | 28 | Nord‑ & West‑DE | n.v. | Gehört seit 2020 zur dennree‑Gruppe, agiert aber separat. (Lebensmittelpraxis.de) |
6 | SuperBioMarkt | 25 | NRW & Niedersachsen | n.v. | Mittelständische Kette, 50‑%‑Beteiligung der Rewe Group seit 2022. |
7 | VollCorner | 20 | Großraum München | n.v. | Stadtfilialen mit Gastro‑Fokus. |
8 | Erdkorn | 14 | Hamburg & Schleswig‑Holstein | n.v. | Regionalplayer im Norden. |
9 | Vorwerk Podemus | 11 | Sachsen (Dresden + Umland) | n.v. | Hofeigene Märkte, Bio‑Landwirtschaft integriert. |
10 | LPG Biomarkt | 10 | Berlin | n.v. | Genossenschaftlich organisiert, großflächige Urban‑Stores. |
Bio ist kein Tierschutz – Wenn grün nicht grün genug ist
Viele Menschen kaufen Bio-Produkte, weil sie glauben, dass Tiere dort besser behandelt werden. Doch wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Die Unterschiede zwischen Bio- und konventioneller Tierhaltung sind oft kleiner als gedacht.
In einer Auswertung von mehreren Studien wurde festgestellt, dass mehr als ein Drittel der untersuchten Bio-Schweine krankhafte Veränderungen aufwiesen – ein Ergebnis, das kaum besser ist als in der konventionellen Tierhaltung. Noch erschreckender: Rund 97 Prozent aller Legehennen – egal ob bio oder konventionell – erleiden Knochenbrüche, etwa durch beengte Haltung oder aggressive Rangkämpfe.
Tiergruppe | Hauptergebnis | Quelle |
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Bio‑/Konv‑Schweine | ca. 35 % krankhafte Befunde | Foodwatch‑Report „Tierleid im Einkaufskorb“ (2023) (Foodwatch EN) |
Legehennen | ca. 97 % mit gebrochenem Brustbein | Studie der Universität Bern (2022) (Luzerner Zeitung, Foodwatch EN, DIE ZEIT) |

Tierschutzorganisationen sprechen daher von Verbrauchertäuschung. Die Vorstellung vom glücklichen Bio-Tier hält der Realität oft nicht stand.
Noch drastischer wird es bei verdeckten Recherchen in Bio-Betrieben: Dort wurden Kühe mit eitrigen Wunden, verdreckten Ställen und Hennen mit schweren Verletzungen dokumentiert – teilweise mit dem offiziellen Bio-Siegel auf dem Hof.
Auch grundlegende Probleme wie Qualzucht oder das Töten männlicher Küken bleiben in vielen Bio-Betrieben ungelöst. Die Kundschaft bezahlt also oft für ein gutes Gefühl – doch ob dieses Gefühl auf Fakten beruht, bleibt fraglich.
Kontrolllücken, Betrug und Pestizid-Drift – Zwischen Vertrauen und Unsicherheit
Das europäische Bio-Siegel soll Orientierung bieten. Doch in der Praxis gibt es zahlreiche Schwächen im Kontrollsystem. So stellte der Europäische Rechnungshof fest, dass es oft an verlässlichen Daten fehlt – etwa über Umweltwirkungen oder Betrugsrisiken im Bio-Bereich.

Diese Lücken können ausgenutzt werden. Ein Beispiel: 2022 wurden rund 219.000 Tonnen „Bio“-Getreide aus der Ukraine in die EU importiert – trotz unklarer Kontrollverhältnisse in Kriegszeiten. Solche Fälle untergraben das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Ein weiteres Problem: Bio-Betriebe leiden oft unter sogenannter Pestizid-Drift – also Verwehungen chemischer Spritzmittel von Nachbarfeldern. Obwohl die Bio-Flächen selbst keine Pestizide einsetzen, können Rückstände auftreten – und die betroffenen Betriebe bleiben auf den Kosten sitzen.
Das zeigt: Bio ist nicht automatisch sauber oder streng kontrolliert. Wer sich auf das Bio-Siegel verlässt, setzt vor allem auf Vertrauen – denn die tatsächliche Kontrolle ist oft lückenhaft. In einem Milliardenmarkt ist das ein riskantes Prinzip.
Ökologischer Fußabdruck und weite Wege – Bio to go, aber zu welchem Preis?
Viele Bio-Produkte haben eine gute Umweltbilanz – zumindest auf dem Acker. Doch was ist mit dem Weg bis ins Regal?
Ein Beispiel sind Avocados: Sie gelten als beliebtes Bio-Superfood, stammen aber meist aus Ländern wie Peru, Kolumbien oder Chile. Jährlich werden rund 150.000 Tonnen importiert. Der Wasserverbrauch liegt bei bis zu 1000 Litern pro Kilogramm Frucht – dazu kommen lange Transportwege und aufwendige Kühlketten, die zusätzlich das Klima belasten.

Auch Frühkartoffeln, die außerhalb der Saison aus Übersee importiert werden, stehen sinnbildlich für den Widerspruch zwischen ökologischem Anspruch und globalem Handel.
Die Bio-Zertifizierung erlaubt solche weiten Wege – das grüne Siegel kennt keine Entfernungen. Für viele Verbraucherinnen und Verbraucher bleibt dabei unklar, wie nachhaltig ein Bio-Produkt tatsächlich ist.
Verpackungsflut – die zwiespältige Bilanz
Bio steht für Natürlichkeit – doch auch beim Thema Verpackung sieht die Realität oft anders aus.
Zwar bemühen sich viele kleinere Bio-Läden um Mehrwegsysteme und den Verkauf unverpackter Ware. Doch im konventionellen Handel – insbesondere bei Discountern – überwiegt die Einwegverpackung. Dort werden Bio-Produkte meist in Plastik eingeschweißt oder mehrfach verpackt angeboten.
Das hat Folgen: Der Plastikmüll steigt, obwohl gerade Bio-Käufer:innen besonders umweltbewusst einkaufen wollen. Die Verpackungsflut wirft damit einen Schatten auf das eigentlich nachhaltige Image.
Arbeitsbedingungen hinter der grünen Fassade
In der öffentlichen Wahrnehmung gilt die Bio-Branche als besonders sozial und gerecht. Doch der Blick hinter die Kulissen zeigt: Auch hier gibt es große Defizite.
In vielen Bio-Supermärkten arbeiten Beschäftigte ohne Tarifvertrag, ohne Mitbestimmung durch einen Betriebsrat – und teils zu niedrigeren Löhnen als im konventionellen Einzelhandel.
Infobox: Arbeitsbedingungen in Bio-Supermärkten – Anspruch und Realität
Die Gewerkschaft Ver.di kritisierte in einem BioHandel-Beitrag bereits 2019, dass Bio-Supermarktketten wie Alnatura, Bio Company und Denn’s kein Mitglied im Arbeitgeberverband sind und daher tarifliche Ansprüche wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld nicht garantiert werden.
Im Wikipedia-Eintrag zu Alnatura (Stand 2024) wird festgehalten, dass nur eine Filiale (Freiburg) einen Betriebsrat hat, während alle anderen Filialen – über 100 – keine Mitbestimmung durch Betriebsräte ermöglichen. Auch wurden Wahlversuche in anderen Standorten lange blockiert
Hohe Arbeitsbelastung
Beschäftigte klagen über Personalmangel, lange Öffnungszeiten und fehlende Pausenregelungen. Häufig müssen sie flexibel eingesetzt werden – ohne tariflich geregelte Zuschläge für Überstunden oder Wochenendarbeit.
Image statt Absicherung
Viele Unternehmen der Bio-Branche werben mit einem positiven Arbeitsklima, flachen Hierarchien und sinnstiftender Arbeit. Doch laut Gewerkschaften wie ver.di verdecken diese „weichen Faktoren“ oft fehlende soziale Standards und mangelnde Mitbestimmung.
Was du tun kannst: Bio mit Haltung einkaufen
Wer wirklich etwas für Tierwohl, Umwelt und bäuerliche Betriebe tun möchte, sollte beim Einkauf genauer hinsehen – und gezielt Alternativen unterstützen, die über das Mindestmaß des EU-Biosiegels hinausgehen. Besonders empfehlenswert sind Produkte mit Demeter-, Bioland- oder Naturland-Siegel: Diese Anbauverbände setzen deutlich strengere Richtlinien in Sachen Tierhaltung, Umweltschutz und Fairness für Erzeuger. Auch wenn sie oft etwas teurer sind, kommt der Mehrpreis eher bei den Höfen an – nicht in den Margen großer Handelsketten.
So lassen sich bäuerliche Betriebe, Tierwohl und Umwelt bewusst unterstützen – auch in der Stadt
✅ Verbandssiegel wählen
Produkte mit Demeter-, Bioland- oder Naturland-Siegel folgen deutlich strengeren Richtlinien als das EU-Bio-Logo – insbesondere im Bereich Tierwohl, Umweltstandards und fairer Erzeugerpreise.
✅ Regional einkaufen
Frische Lebensmittel direkt vom Hof, Wochenmarkt oder Bioladen aus der Umgebung sind oft transparenter, saisonal angepasst und ermöglichen eine direkte Unterstützung regionaler Strukturen.
✅ Stadtfreundliche Alternativen nutzen
In urbanen Regionen bieten Plattformen wie Marktschwärmer, Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) oder Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften regelmäßig Zugang zu regional erzeugten Lebensmitteln – oft ohne Zwischenhandel.
✅ Bio-Kisten abonnieren
Viele Bio-Höfe liefern wöchentlich Obst, Gemüse oder andere Produkte ins Haus – häufig mit Fokus auf Regionalität und strengere Anbaustandards.
✅ Weniger Fleisch, bessere Herkunft
Ein reduzierter, aber gezielter Fleischkonsum aus transparenter, kontrollierter Bio-Tierhaltung schützt sowohl Tierwohl als auch Klima.
✅ Fragen stellen – und bewusst kaufen
Durch gezielte Nachfrage nach Herkunft, Haltung und Verarbeitung lässt sich die Marktstruktur langfristig verändern. Anbieter, die fair und nachhaltig arbeiten, werden so gestärkt.
Nach 20 Jahren Krieg, Krise und dem Großenganzen journalistisch in das beschauliche Vogtland gewechselt. Ein Momentesammler und Geschichtenerzähler. Neugierig, nahe an den Menschen und manchmal ein bisschen frech. :) Folge mir doch auf X (ehemals Twitter)